Wer hat den ersten emblematischen Stein zum Rollen gebracht? Eine quellengeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der literarischen Emblematik

Document Type : Original Article

Author

Ain Shams University

Abstract

This source history article deals with the emergence and flourishing of emblematic literature in 16th and 17th  century in Europe. The emblem is a literary form consisting of a trio: the image (icon), the motto, and an evocative explaining text that connects the image to the motto. The paper shows that on the threshold of modern times, Europe's fondness for ancient Egyptian culture and hieroglyphics had the greatest influence on the emergence of this genre. The paper traces the emergence of emblematics to the publication in 1505 of a book entitled The Hieroglyphics of Horapollo Nilous, which contained a series of hieroglyphs accompanied by a title and explanation. The book was enthusiastically received in Europe and widely imitated. This gave rise to the great art of emblematics. The aspect that the article emphasizes is that with this book the first stone was rolled on the way to the emergence of literary emblematics. If one agrees almost unanimously in Europe connect the merit in the emergence of emblematics with the name of the Italian legal scholar Alciatus, the hieroglyphics of Horapollon come - if at all - too briefly. The meaning of this book is - as some think - very marginal. The almost exclusive return of the emblematic literature the book written by Alciatus in 1531 entitled Emblematum liber does not take into account the historical development of the genre. The contribution should be understood as a small rehabilitation of the Hieroglyphics of Horapollo Nilous..

Keywords


Emblematum Pater & Princeps est Alciatus“ – dieser lateinische Satz, der so viel bedeutet wie: „Alciatus ist der Vater und der Princeps (=die einflussreiche Persönlichkeit) der Emblematik“, ist zu finden in Balbinus' Verisimilia Humaniorum Disciplinarum seu Iudicium privatum de omni literarum (quas humaniores appellant) artificio (Balbinus, 1710, p. 232). Dieses Urteil, dass er in seinem Buch über den italienischen Rechtsgelehrten Andreas Alciatus (1492-1550) fällt, welcher 1531 sein „Emblematum liber“ in Augsburg veröffentlichte, ist zu einer kanonischen Aussage der Emblematik-Forschung geworden, bis in die heutige Zeit hinein. So schreibt Pinel im Jahr 2022 (Pinel, 2022, p. 97) Folgendes: „He [Alciatus] is also well-known for having created a new literary genre, called ꞌemblematic literatureꞌ”. Diese Meinung teilt auch Potke: „Als Geburtsjahr der Gattung Emblematik gilt allgemein das Jahr 1531, als den lateinischen ekphrastischen Epigrammen des Mailänder Juristen Andrea Alciato bei der Drucklegung Holzschnitte beigefügt wurden.“ (Plotke, 2009, p. 138).

In dieser Wertschätzung sind sie keine Ausnahme. Ihnen gehen viele Literaturwissenschaftler voraus. Auf alle hier eingehen zu wollen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Daher seien hier einige namhafte Namen nur als exemplarische Beispiele genannt:

  • Volkmann, einer der renommierten Emblematik-Forscher, meint, dass Alciatus' „Name untrennbar mit dem Begriff der Emblematik verknüpft bleiben wird” (Volkmann, 1923, p. 41).
  • Buck ist der Ansicht, dass “das Emblem […] diese Bedeutung seit der Veröffentlichung von Alciatis Sammlung [hat]” (Buck, 1972, p. 330) und somit als die “von ihm [Alciatus] geschaffene bildliterarische Form” (Ebd, p. 333) aufzufassen sei.[1]
  • Henkel und A. Schöne, die Herausgeber des monumentalen Schlüsselbuchs Emblemata: Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. Und XVII. Jahrhunderts, meinen Folgendes: “Erst wenn Alciatus unter die Chiffren der hieroglyphischen Bilder seine dechiffrierenden Epigramme rückt, entsteht sein ‘Emblematum liber’” (Henkel und Schöne, 1996, p. XI).

 

Um es vorwegzuschicken will dieser Beitrag dem Emblematum liber Alciatus' seine wirkungsgeschichtliche Bedeutung keineswegs absprechen oder sie gar in Frage zu stellen, sondern  lediglich den Versuch unternehmen, die Entstehung der literarischen Emblematik quellengeschichtlich neu zu besprechen.

1.     Entstehungsgeschichtliche Aspekte zur Emblematik

Ein literarisches Emblem ist ein dreiteiliger Grundtypus, der sich aus einem Bildelement, der Pictura (auch Icon oder Imago genannt), und zwei Textelementen zusammensetzt: dem Motto (oder Lemma bzw. Inscriptio) und der Subscriptio. (Nünning, 2013, p. 166) Durch die Neuentdeckung und Wiederbelebung des antiken Schrifttums durch die Humanisten, nicht zuletzt wegen der Eroberung von Konstantinopel durch die Türken im Jahr 1453, war man wieder auch auf den antiken Orient, vorwiegend den ägyptischen, aufmerksam geworden. Werke griechischer Autoren wie Strabon (*64/63 v. Chr., † nach 23 n. Chr.), Flavius Josephus (*38 n. Chr., †Rom um 100), Plutarch (*um 46 n. Chr., †120), um nur die wichtigsten zu nennen, wurden ins Lateinische und in andere europäische Sprachen übersetzt und mit Kommentaren versehen. Darüber hinaus wurden Werke lateinischer Autoren wie Plinius der Ältere (*23 oder 24 n. Chr., †79) und Tacitus (*um 46 n. Chr., †um 120) neu aufgelegt. Allen ist gemeinsam, dass sie der Nachwelt Berichte über den antiken Orient hinterlassen haben. (Elnaggar, 2009, p. 93ff.)

In diesem Zusammenhang ist hauptsächlich[2] die Entstehung und Entfaltung der Emblematik zu verstehen, was zur vollen Entfaltung in der Kulturepoche des Barock kam, die Herder in seinen Zerstreuten Blättern als “beinahe das emblematische” Zeitalter bezeichnen möchte. (Herder, 1877, Bd. 16, p. 230) Die Emblematik oder die Sinnbildkunst, um mit Harsdörffer zu sprechen (Harsdörffer, 1643, Bd. 1, S. 52), als mögliche Verbindung von Überschrift, Bild und Beischrift, erfreute sich nicht nur im Schaffen der barocken Dichter, sondern auch außerhalb der Literatur in der sogenannten “angewandten Emblematik” einer außerordentlichen Breitenwirkung: Marien-, Herz- und Passionsembleme an den Altaren von Kirchen, mystisch-erbauliche Embleme auf Emporenbrüstungen, Embleme in den Deckenausmalung, in den Exlibris von Adeligen, im geschliffenen Dekor von Trinkgläsern, in Fayencen privater und öffentlich-repräsentativer Funktion, auf geprägten Brettspielsteinen, in Holzschnitzarbeiten zum Schmuck akademischer Räume, so dass „ein sachgerechter Überblick über Vorkommen und Funktionen der außerliterarischen Emblematik […] noch nicht möglich“ ist, um mit Wolfgang Harms zu sprechen (Harms, 1975, p. 7)

Die Emblematik ist somit Lebensstil und literarischer Ausdruck zugleich geworden. Bis an die Grenze des Unüberschaubaren zeigt sich die Fülle der Emblematik in der Literatur. Henkel und Schöne sprechen in ihrem monumentalen Werk Emblemata: Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. Und XVII. Jahrhunderts von einer siebenstelligen Zahl an Exemplaren (Henkel et Schöne, 1996, p. XVII.) Allein im deutschen Sprachgebiet sind in dem Zeitraum von 1531-1888 nach den nicht ganz vollständigen Angaben der German Emblem Books Bibliography 637 Ausgaben erschienen. (Landwehr, 1972)

Ausgelöst wurde dieses Interesse durch die allgemeine rege Beschäftigung der Renaissancegelehrten und -künstler mit der altägyptischen Kunst[3], besonders den Hieroglyphen, was seinen Ausdruck in der Anfertigung von Kunststücken nach altägyptischer Manier, geschmückt mit Motiven aus der „Bilderschrift“[4] der Altägypter. Medaillen, Münzen, Säulen, Ehrenpforte und alle möglichen Kunstgegenstände entstanden und auch die Sinnsprüche und Wappen der Fürsten und Herren wurden nach hieroglyphischer Manier verwertet, damit „etwas den ägyptischen Geheimbildern Entsprechendes geschaffen“ (Volkmann, 1923, p. 11) werden konnte.

Dabei ging man von der philosophischen Vorstellung, die die barocken Dichter und vor ihnen die Renaissancegelehrten und die Humanisten aus dem antiken Schrifttum gewonnen haben, nämlich die Altägypter “verwendeten zur Darlegung ihrer Weisheit nicht die Buchstabenschrift, welche die Wörter und Prämissen nacheinander durchläuft und auch nicht die Laute und das Aussprechen der Sätze nachahmt, vielmehr bedienten sie sich der Bilderschrift, sie gruben in ihren Tempeln Bilder ein, deren jedes für ein bestimmtes Ding das Zeichen ist.” (Harder, 1964, p. 49) Die vergeblichen Bemühungen vieler antiker Schriftsteller und Philosophen[5] wie Herodot, Diodor, Plutarch oder Clemens Alexandrinus um die Entzifferung der Hieroglyphen und die daraus entstandenen „relativ wenige, dazu nicht leicht verständliche Bemerkungen“ (Thissen, 1998, p. 8) haben auf der einen Seite einen mysteriösen Kult um die Rätselbilder der Altägypter als „etwas dem göttlichen Denken selbst Entsprechendes, gleichsam Abbilder der göttlichen Ideen“ (Volkmann, 1923, p. 7) geschaffen. Da die Autorität und Authentizität der antiken Schriftsteller als unantastbar galten, sah sich die Nachwelt in ihrer Vorstellung bestätigt, dass es sich um recht „höheres Wissen“ handelt, das zur Entzifferung verlockt. Damit verband sich auf der anderen Seite, dass in der mittelalterlichen Tradition Ägypten stets als eine Urheimat tiefster Gelehrsamkeit betrachtet wurde, so dass „eine Art mystischer Ehrfurcht vor Ägypten durch das ganze Mittelalter“ (Ebd., p. 9) hindurchzog.

Diese kulturhistorische Missinterpretation, „daß vielmehr jedes Bild […] Weisheit und Wissenschaft ist“ (Harder, 1964, p. 49), findet seinen Niederschlag im literarischen Schaffen der barocken Dichter. Harsdörffer spricht von “der Natur Geheimnisse[n] und allerhand Lehren” (Harsdörffer, 1643, Vol. 4, p. 222) der Altägypter, deren „Auslegung hat muessen von den Lehrweisen oder den Priesteren nach und nach erlernt werden.“ (Ebd. p. 222) In Simpliccismus von Grimmelshausen hat Simplex bei seinem Durchprobieren aller Wissenschaften auch hinter „die Hieroglyphicas der Egyptier“ (Jöns, 1978, p. 235) eine wichtige Wissensquelle gesehen. In Fischarts Geschichtklitterung (1575), eine freie Übersetzung des französischen Romans Gargantua und Pantagruel von François Rabelais (1565), findet man auf der Suche nach dem Stamm von Gorgellantua auf einem alten Sarkophag seltsame alte geheime Buchstaben und „diß war sein Hierogliphisch Grabschrift“ (Fischart, 1891, p. 40). Im selben Werk geht er auf Folgendes ein: „Die Weisen in Egypten haben vorzeiten der sachen vil anders gethan, wann sie durch gemälschriften und Schilderilder, welche sie HierogIyphisch nanten, geschriben haben. Welche keiner nicht verstund, er verstünd dann auch die Natur, frafft und eygenschafft der vorfigurirten und fürgemaleten Natürlichen sachen.“ (Ebd. p. 188)

In seinem Lehrgedicht Die Kunst schreibt Fischart:                                                                                      Auch bzeugt solchs, das aus malens grund                                                                Die erst egiptisch schrift entstund,                                                                             All weisheit und theologie,                                                                                         Die hierogliphisch nannten sie. (Goedeke, 1880, p. 186)

Angeregt werden die Bemühungen um die Entzifferung der Hieroglyphen und des dem hieroglyhice scribere innewohnenden gottoffenbarten uralten Menschheits- und Weltwissen mit der Herausgabe von „Des Ägypters Horapollon Hierogiyphika“[6]. Die Berühmtheit der Hieroglyphika und deren Verfasser „Horapollon“ lassen sich daran veranschaulichen, dass auf die Symbolik und Rätselhaftigkeit der Hieroglyphika Horapollons von den barocken Dichtern immer wieder hingewiesen wird. In seiner Geschichtklitterung spricht Fischart unter anderem von “dergleichen Bilderschriften der uralt Orus Apollo” (Fischart, 1575, p. 189 ff.). Auch Harsdörffer erwähnt den Namen Horapollon in seinen Frauenzimmer Gesprächspielen (Vol. 3, p. 269  und Vol. 7, p. 169)

Das griechische Manuskript ist 1419 in Italien aufgetaucht, war lange Zeit im Umlauf und wurde schließlich 1505 im Originaltext dort auch gedruckt. 1515 erschien eine erste lateinische Übersetzung durch Berhard Trebatius in Augsburg, dann folgte im Jahr 1517 die berühmte lateinische Übersetzung aus der Feder Wilibald Pirkheimers und mit Illustrationen durch Dürer. (Vgl. Thissen, 1998, p. 3) Der griechische Text geht auf 12 Handschriften aus dem 14. Jahrhundert zurück, die in zwei Büchern mit insgesamt 189 Hieroglyphen versammelt sind. Die Hieroglyphen werden beschrieben und deren Bedeutung begründet nach dem Muster:

Wenn sie [die Altägypter] das-und-das ausdrücken wollen, zeichnen sie das-und-das, weil …(Thissen, 1998, p.11)

Wenn sie Ewigkeit auf·andere Weise schreiben wollen, malen sie eine Schlange, deren, Schwanz unter dem restlichen Körper verborgen ist. (Thissen, 2001, p. 3)

Der Verfasser dieser Hierglyphika ist der alexandrinische Gelehrte Horapollon aus dem Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. oder sein gleichnamiger Enkelsohn aus dem Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. Der Name Horapollon stellt durch seine symbolische Zusammensetzung aus dem altägyptischen Gott Horus und dem griechischen Gott des Lichts Apollo eine „Verschmelzung unterschiedlicher religiöser Vorstellung dieser Zeit rund um das Mittelmeer“ (Majonica, 1988, p. 31) dar. Horapollon selbst war des Hieroglyphischen nicht mächtig. Vermutlich stützte er sich auf eine gute Zeichen- oder Wortliste oder eine Art Hieroglyphen-Lexikon. (Erman, 1912 , p. 2)

Die allgemeine Vorstellung der Humanisten von der Hieroglyphen erfährt mit dem Erscheinen dieses Buches eine besondere Bestätigung, „denn aus Horappolo verbreitete sich seit der Renaissance die Vorstellung, daß die Hieroglyphen seltsame Symbole gewesen seien, voll von geheimer Weisheit, ein Produkt philosophiernder Priester”, fällt Erman sein Urteil über das Buch und meint über „die Tollheiten seiner Deutungen” in vernichtender Kritik und zynischer Ablehnung weiter: „Das törischte Buch Horapollo hat alle Zeiten überlebt, gewiß gerade weil es so töricht war.“ (Ebd. p. 2) Was aber dem Ägyptologen Erman als töricht und dem Sprachwissenschaftler Umbero Eco „aus der Sicht eines heutigen Kenners der mittelalterlichen und antiken Kultur” (Eco, 1994, p. 161)

 

als „kaum sehr verschieden von den Bestiarien, die in den Jahrhunderten vor ihm zirkulierten, außer daß er den traditionellen Zoo um ein paar ägyptische Tiere [...] erweitert und die moralisierenden Kommentare oder Verweise auf die Heilige Geschichte wegläßt“ (Ebd.), erscheint, ist für die genetische Literaturwissenschaft geradezu umso bedeutungsvoller, da durch dieses kleine Werk quellengeschichtlich und wirkungsästhetisch der ersten Stein der emblematischen Kunst in Europa zum Rollen gebracht worden ist.

Das Buch der Hieroglyphika erfreute sich seit seinem Erscheinen großer Beliebtheit bei Laien und Ägyptologen, so dass Champollion die Hieroglyphika für die 1822 gelungene Entzifferung der Hieroglyphen hoch einschätze. (Thissen, 2001, p. XV). Rund 30 Editionen, Übersetzungen[7], Nachdrucke und durch sie angeregte Werke wurden bis zum 17. Jahrhundert publiziert. 1435 schickte Ciriaco da Ancona aus Ägypten zwei Kopien einer hieroglyphischen Pyramidenschrift nach Florenz. 1452 vollendete Leon Battista Alberti seine erst 1485 gedruckten Zehn Bücher über die Baukunst, die mancherlei Ausführungen über die ägyptische Kultur und die Hieroglyphen enthalten. Der Einfluss dieses Buches war immens, nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland und Frankreich. 1467 vollendete der venezianische Dominikaner Fra Francesco Colonna seine Hypnerotomachia Poliphili (= Des Poliphilus' Liebeskampftraum), ein Holzschnittwerk in Form eines Liebesromans voll von Darstellungen von Obelisken, Pyramiden und hieroglyphischen Symbolen, der sich mit dem Wunderland Ägypten, seinen Sphingen (=Sphinxen), seinen Obelisken und Hieroglyphen beschäftigt. Dabei wird mit den Hieroglyphen so operiert, dass sie ganze Sätze ausdrücken. Nach ihrem Erscheinen im Jahre 1499 in Italien übte das Werk außerordentlichen Einfluss auf die verschiedenen Länder Europas. 1483 gab Marsilio Ficino, der Führer der platonischen Akademie in Florenz, eine verkürzte Übersetzung des Jamblichus heraus, eine vom Neuplatoniker Jamblichus verfasste Schrift über die ägyptischen Mysterien, wonach die ägyptischen Symbole nichts anderes waren als Abbilder der Natur des Universums und des Waltens der Gottheit. (Volkmann, 1923, p. 9-23)[8]

Diese von den Hieroglyphika ausgehende Faszination für Altägyptisches war so groß, dass Fälschungen entstanden. Das berühmteste Beispiel ist Fa Giovanni Nanni da Viterbo, der in seinen um 1498 gedruckten Antiquitatum variarum volumina XVII eine Reihe u.a ägyptischer Texte fälschte, um die römische Geschichte mit ägyptischer Urzeit und Urweisheit zu verknüpfen (Ebd., p. 12)

1531 wurde in Augsburg der lateinische Emblematum liber des italienischen Rechtsgelehrten Andrea Alciatus gedruckt. Von Italien griff diese Mode, nämlich “die faszinierende Methode, Gedanken mittels Bildern darzustellen” (Vinken, 1978, p. 61), auf das gesamte Abendland und bekam den Charakter einer gesamteuropäischen Erscheinung. Sein Werk erschien in etwa 150 Ausgaben und übte einen immensen Einfluss. Alciatus selbst bekennt sich in De verboum significatione (= Über die Bedeutung der Worte) (1530) dazu, dass der Anreger für sein Büchlein, „dessen Titel Emblemata ist“ (Zitiert in: Volkmann, 1923, p. 41) die Hieroglyphika bei „Horus“, d.h. Horapollon, und „Chaeremon von Alexandria“ sind. Von dem letzteren wird vermutet, dass er die Hieroglyphen von Colonna geschrieben haben soll (Vgl. ebd.).

1556 erschien in Basel die Hieroglyphika sive de sacris Aegyptiorum aliarumque gentium literis von Pierio Valeriano. Das Werk dieses ungeheuer belesenen Verfassers stützt sich oft auf Horapollon, zieht aber auch Griechisches, Römisches und Biblisches heran. Seine Begeisterung geht sogar dahin zu meinen, dass er sogar in dem Psalm 78, 2 „Ich will meinen Mund zu Gleichnissen auftun, will Rätsel aus der Vorzeit verkünden“ eine Andeutung auf die Rätselsprache der Altägypter (Volkmann, 1923, p. 36) zu finden glaubt.

In der Literaturwissenschaft ist man grundsätzlich unter sich einig, wie oben erwähnt, dass Alciatus mit seinem Emblematum liber als der Begründer der literarischen Emblematik ist. Jedoch ist zu beachten, dass Alciatus, als er 1531 sein Emblematum liber verfasst hatte, seine Embleme nicht im Sinne des späteren literarischen terminus technicus verstand, sondern sie als mögliche ornamentale Motive und Vorlagen für Maler, Goldschmiede und Gießer empfiehl, also ganz im Sinne des Sprachgebrauchs der griechischen Plastik und hielt daher sein Buch geeignet für nützlichen Zeitvertreib und für ornamentische Zwecke “in klayd, teppich, oder schilt” (Alciatus, 1542, p. 17).

 

 

Als die ersten Übersetzungen des Werkes Alciatus' erschienen, war man sich der Entstehung einer neuen Gattung, die sich später Emblematik nennen sollte, noch nicht bewusst, sondern man begeisterte sich eigentlich für die rätselhaften magischen Bilder. Daher übersetzt 1542 W. Hunger das Emblematum liber Alciatus' mit “Das Buechle der verschroten Werck”, d.h. ganz im Sinne des antiken Wortgebrauchs als „eine eingelassene Reliefarbeit auf Prunkgefäßen, bzw. eine in Fußböden eingelassene Mosaiktafel” (Kluge, 2011, p. 243).

Auch Jeremias Held empfiehlt  in seiner 1567 in Frankfurt am Main erschienenen Übersetzung Kunstbuch Andree Alciati von Meyland bey der Rechten Doctorn allen liebhabern der freyen Künst auch Malern Goldschmiden Seiden = stickern vnd Bildhauwern jetzund zu sonderm nutz vnd gebrauch verteutscht vnd an tag geben    durch Jeremiam Held von Nördlingen mit schönen lieblichen neuwen Kunstreichen Figuren geziert vnd gebessert die Embleme als ornamentalische Muster, wie man dem Titel offenbar entnehmen kann, was in der auch in Frankfurt am Main unter demselben Titel erschienenen Ausgabe von 1580 keine bedeutende operative Änderung erfahren hat.   

Der Einwand Schönes und Henkels, dass die fehlenden “beygeschrieben Worte”, d.h. die subscriptio, in der Bildersprache der Hieroglyphen, die das verschlüsselte Bild eines Emblems deuten, die Grenze zwischen ein Emblem und eine Hieroglyphe setze, wobei sie sich auf Harsdörffer berufen, der diesen Unterschied nachdrücklich in seinen theoretischen Erwägungen über das Wesen des Emblems gemacht habe (Henkel und Schöne, 1996, p. XI), stellt die Frage, ob es sich auf der einen Seite bei dieser Kritik um postumes Wissen der modernen Ägyptologie handelt, das der barocken Rezeption der Hieroglyphik keine Rechnung trägt.

Überprüft man allerdings auf der anderen Seite das Zitat Harsdörffer in seinen Gesprächspielen, Vol. 4, S. 222 ff., so ist folgendes zu lesen:

„Sie [die Sinnbilder] werden auch unterschieden von den Bilderschriften / welche entweder ohne oder mit wenig Buchstaben etwas zu verstehen geben […] Ich verstehe aber durch die Bilderschrift / wann ein Bild oder Figur einen solchen Namen hat / der unvermeldet an stat der Schrift dienen kann […]“

Hier bezieht sich das Zitat offenbar auf reine Bilderschriften, deren symbolischer Wert aus sich heraus nicht zu ermitteln ist, denn später auf Seiten 223-225 legitimiert Harsdörffer anhand vieler Beispiele jene Bilder als Sinnbilder (=Embleme), die durch ihre symbolische Botschaft die Funktion der Beischrift übernehmen, was in Horapollons Hieroglyphika der Fall ist.

Als die Hieroglyphika zum ersten Mal erschienen, waren sie zwar mit keinen Bildern versehen, was ja gegen die emblematische Struktur aus Überschrift, Bild und Kommentar sprechen könnte. Das Vorhandensein eines Bildes ist jedoch nicht gerade entscheidend für ein Emblem. Es handelt sich dann um die so genannten emblemata nuda, d.h. Embleme ohne Bilder, wobei eine Beschreibung des Bildes dieses gerade ersetzt, was für die barocken Poetiker durchaus zulässig war und nicht als regelwidrig empfanden wurde (Vgl. Harsdörffer, 1643, Vol. 4, p. 179). Betrachtet man die einzelnen Lemmata der Hieroglyphika aus dem Jahre 1419, so ist das emblematische Trio leicht feststellbar: Überschrift, Bild bwz. Bildbeschreibung und Beischrift. Lemma Nr. 53 des ersten Buches, um nur ein Beispiel zu geben, soll die emblematische Struktur der Hieroglyphika verdeutlichen: “Wenn sie Ewigkeit (Überschrift) bezeichnen, schreiben die Sonne und Mond (Bild), weil es die ewig dauernden Elemente sind (Beischrift)” (Thissen, 2001, p. 11)

Die späteren Ausgaben der Hieroglyphika haben die Embleme mit Bildern versehen, die je nach der schöpferischen Imagination des Zeichners gerade moderner als die altägyptischen Hieroglyphen auswirkten. Aber allen ist gemeinsam, dass darin das Interesse am Geheimnisvollen hinter den Hieroglyphen, das die Beischrift des Emblems zu entziffern versucht, den Hauptakzenten setzte. Dadurch verwirklichen die Hieroglyphika von Horapollon die in literarischen Emblemen geforderte Wechselbeziehung zwischen res (Signifikat) und verbum (Signifikant), zwischen dem hieroglyphischen Bild und der als Beischrift fungierenden Erklärung. (Vgl. Moog-Gründewald, 2000, p. 196)

Fazit

Der vorliegende Beitrag möchte einen Versuch der Rehabilitierung Horapollons aus wirkungsästhetischer Sicht unternehmen. Mit diesem Büchlein aus dem Jahr 1450 wurde – viele Jahrzehnte vor dem Emblematum liber Alciatus'– durch das emblematische Trio aus Überschrift, Bild bzw. Bildbeschreibung und Beischrift sowie die Wechselbeziehung zwischen res und verbum der erste Stein der späteren emblematischen Kunst und literarischen Emblematik zum Rollen gebracht. 

 

 

[1]  Die Hervorhebung stammt vom Verfasser.

[2] Andere mögliche Einflusselemnete sind nach Schöne z.B. Gemmen, Skulpturen, Münzen, Medaillen und Plastik der Antike, mittelalterliche Bestarien und Herbarien, die Bibel, die antike Mythologie, antike Geschichtsdarstellungen und Naturbeschreibungen, Anekdoten und Sprichwortsammlungen. (Schöne: Emblematik und Dramatik, p. 19) Diese ganzen Elemente wurden in der Emblematik zwar ganz oder partiell rezepiert, entweder in der Überschrift, in dem Bild oder in der Beischrift, aber ob sie formgebende Elemente sind, bleibt dahin gestellt. Der in der emblematischen Sekundärliteratur von manchen geführte  Streit, ob sich die Emblematik selbständig oder nur unter der Schirmherrschaft der Impresenkunst entstanden ist, berührt unsere Aufgabe nicht, denn selbst die Impresenkunst stand unter starkem Einfluss der Renaissance-Hieroglyphik. Zum ersten Punkt vgl. Dieter Sulzer: Traktate zur Emblematik, S. 1-52, zum zweiten Volkmann, S.42-49.

[3] Näheres über die Beschäftigung der italienischen Humnaisten mit der Hieroglyphik bei Volkmann, 1923, p. 9 ff.

[4] Die Vorstellung, dass die Hieroglyphen eine reine Rebusschrift, d.h. Rätselbild, sind, bleibt von der Renaissance bis zum Ausklang des Barock haftend. Die barocken Poetiker sprechen immer wieder von den Hieroglyphen als ”Gemälmysterien” (Fischart) oder als ”Bilderschrift” (Harsdörffer). Die moderne Vorstellung von den Hieroglyphen als eigener Sprache mit ihrem lautlichen, semiotischen und metaphorischen war damals noch nicht vorhanden.

[5] Näheres über die Beschäftigung der antiken Schriftsteller mit der Hieroglyphik sieh: Volkmann, 1923, S. 4 ff.

[6] Die vorliegende Darstellung der Hieroglyphika stützt sich auf Thissen, 2001

[7] Die erste deutsche Übersetzung von Johann Herold (1514-1567) erschien im Jahre 1551 unter dem Titel Des alten unnd heylig geathten Aegyptischen Priesters / Hori Apollinis / auß Nilstatt / von heyliger Schrifft Wharzeichen in seinem Buch Von den heydnischen Goettern unnd irer vermeynten macht / darumben sye bey den Alten verehert seind.

[8]  Bei Volkmann gibt es detaillierte Darstellungen der oben genannten Werke und vieler anderer mehr.

 
Literatur
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